Mehr als 20 Jahre im Tierschutz aktiv: Susanne David im Gespräch mit Cicero.

Unsere Tierheimleiterin Susanne David hat Cicero, dem Magazin für politische Kultur, spontan ein umfangreiches Interview zu unserer wichtigen Tierschutzarbeit gegeben.

Sie sprach über die Situation von deutschen Tierheimen, die an ihre Belastungsgrenzen stoßen, und darüber, wie wir damit umgehen. Darüber hinaus erläuterte unsere Tierheimleiterin – gemäß unserem Motto „Adopt don’t shop!“ – warum der Kauf von Tieren beim Züchter oder im Internet strikt abzulehnen ist und welche Auswirkungen die Konsumgesellschaft auf den Umgang mit Haustieren hat. Das gesamte Interview von Susanne David mit dem Magazin Cicero wurde hier online veröffentlicht. Sie lesen es im Folgenden.

 

Cicero: Frau David, wie jedes Jahr werden wieder Hunderte Tiere ausgesetzt. Besonders im Sommer wird es eng in deutschen Tierheimen. Wie sieht es momentan bei Ihnen aus?
Susanne David: Es ist jedes Jahr dasselbe. Es wird jedes Jahr zum Sommer voll. Auch jetzt. Das Problem ist, dass die Leute oft zur Weihnachtszeit Tiere anschaffen und derer zum Ferienbeginn überdrüssig werden.

Städtische Tierheime in Flughafennähe haben es am schwersten. Viele Halter wollen die Tiere vor dem Urlaub loswerden und setzen sie einfach aus.
Es gibt verschiedene Möglichkeiten. Entweder sie kommen selber und geben das Tier ab, weil sie nicht mehr klarkommen. Oder das Tier landet als 'Fundtier' bei uns. Wenn ein Tier gefunden und nicht wieder abgeholt wird, ist es schon sehr eindeutig, dass es den Haltern nicht entlaufen ist.

Die Leute scheinen trotzdem ohne schlechtes Gewissen wegzufliegen. Dabei nehmen sie den Tod ihrer Schützlinge ohne Weiteres in Kauf. Warum sind Menschen so gefühlskalt gegenüber Tieren?
Das Tier wird, auch mit dem Internet, immer mehr zum Konsumprodukt. Man kann sich über eBay schnell wieder einen neuen, niedlichen Vierbeiner anschaffen. Unsere Gesellschaft ist zu einer Konsumgesellschaft geworden, sodass man sich auch schneller von einem Tier trennt, wenn es nicht so funktioniert, wie man sich das vorstellt. Und vielleicht glaubt man, wenn man es vor dem Tierheim aussetzt oder es dort abgibt, ist es ja versorgt.

Es gibt auch härtere Fälle...
Natürlich gibt es auch brutale Fälle, in denen die Tiere so ausgesetzt werden, dass sie nicht gefunden werden. Oder in erbärmlichen Zuständen zurückgelassen werden. Das sind zum Glück Einzelfälle. Meistens ist es ja doch so, dass sie in einem einigermaßen guten Pflege- und Ernährungszustand zu uns kommen.

Was tut ein Tierheim, wenn es überfüllt ist?
Wir versuchen mit anderen Tierheimen zu kooperieren. Wir kennen kleinere, ländlichere Tierheime, die nicht so voll sind. Da sind die Möglichkeiten aber auch begrenzt. Im schlimmsten Fall müssen wir einen Aufnahmestopp verhängen. Der kann dann auch nur für Tiere gelten, die hierhergebracht werden. Dagegen muss ein Tier, dass ohne Halter gefunden wird, von uns versorgt werden. Das ist ein großes Problem.

Was passiert mit den Tieren, die nicht mehr aufgenommen werden können?
Halter von Abgabgetieren versuchen wir zu vertrösten, auf einen späteren Zeitpunkt. Oder wir geben ihnen die Möglichkeit, bundesweit andere Tierheime zu fragen. Wenn es gar nicht anders geht, nehmen wir die Tiere natürlich.

Besonders oft werden Katzen ausgesetzt. Die Zahl ausgesetzter Katzen steigt jährlich um zwanzig Prozent, hieß es schon 2012. Ist es einfacher, Katzen loszuwerden?
Eine Katze, die ein Freigänger ist, wird man nicht so einfach los. Wenn sie eine reine Wohnungskatze ist, findet sie natürlich nicht so schnell nach Hause. Wenn ich sie weiter weg bringe und aussetze, sowieso nicht. Außerdem ist sie schnell in eine Kiste gepackt und irgendwo einfach stehengelassen. Einfacher als ein Hund, der einen unter Umständen hinterherbellt und jault. Wenn man ihn laufen lässt, läuft er hinterher. Das würde eine Katze erstmal so nicht machen. Emotional ist das wohl auch einfacher.

Die Leute gehen lieber zum Züchter, als ihr neues Haustier in einem Tierheim abzuholen. Wieso ist das so? Stimmt etwas mit den Tieren nicht, die bei Ihnen aufgenommen werden?
Ich glaube, dass die Leute eher auf eBay oder von illegalen Welpenhändlern kaufen als von echten Züchtern. Weil die oft sehr teuer sind. Das heißt nicht, dass mit unseren Tieren irgendetwas nicht stimmt. Aber viele wollen unbedingt ein Rassetier haben. Ohne sich klarzumachen, was das bedeutet. Es gibt zum Beispiel Qualzuchten: Viele Rassen sind mit Behinderungen gezüchtet, was gesundheitliche Folgen und Leiden mit sich bringt. Andererseits wollen viele einen Welpen haben, obwohl sie sich nicht im Klaren darüber sind, wie viel Aufwand ein Welpe bedeutet, zum Beispiel, dass man viel Zeit haben muss. Im Tierheim ist es so: Wir haben keine Tiere auf Lager. Wenn ich einen bestimmten Hund haben möchte oder ein bestimmtes Alter oder Geschlecht, kann ich nicht ins Tierheim gehen und sagen, jetzt hol ich mir den da. Dann muss ich öfter hingehen und mir die Mühe machen zu gucken, ob irgendwann ein passender Hund dabei ist.

Was sind das für Händler auf eBay?
Die sind günstiger. Das sind keine Züchter, das sind Vermehrer. Sie geben die Tiere oft viel zu jung ab, im Alter von fünf bis sechs Wochen. Nach deutschem Tierschutzgesetz müssen sie mindestens acht Wochen bei der Mutter bleiben. Die Tiere sind illegal aus dem Ausland geholt, nicht geimpft und gar nichts – und oft immungeschwächt, meistens auch krank, und sterben dann. Die Leute sind ja so dümmlich und kaufen dann trotzdem nochmal, wenn das eine Tier verstorben ist und sie schon tausend Euro beim Tierarzt gelassen haben, bei eBay so einen Hund. Weil er auf den ersten Blick günstiger ist als der vom Züchter.

Wie oft vermitteln sie einem Hund oder einer Katze ein neues Zuhause?
In der Regel fünf bis zehn Hunde pro Woche. Bei den Katzen sind es zehn bis zwanzig oder auch fünf bis fünfzehn. Es ist schwer zu sagen. In manchen Wochen vermitteln wir nur ein oder zwei Tiere, in anderen mehr. Es gibt auch Wochen, in denen wir gar keine vermitteln. Wenn wir einen Wurf süßer Welpen haben, dann werden wir in dieser Woche mehr Tiere los als zu einem anderen Zeitpunkt.  

Der deutsche Tierschutzbund schlug Anfang des Jahres Alarm, dass die Hälfte aller Tierheime vor der Insolvenz stehen. Woran liegt das?
Wir sind nur ein privater Verein, so wie die meisten Tierheime. Die meisten sind gar nicht staatlich gefördert, leben nur von Spenden und Mitgliedsbeiträgen. Einige Menschen bedenken uns in ihrem Testament. Wir müssen hart kämpfen. Manche Tierheime kriegen von den Gemeinden höchstens über Verträge Geld, wenn sie deren Aufgaben übernehmen. Bei uns ist es auch so. Wir haben einen Vertrag mit der Stadt Hamburg. Das heißt, für die Aufnahme von Fundtieren, was Aufgabe der Stadt ist, zahlt diese für die Unterbringung, wenn wir sie aufnehmen. Weil sie diese Aufgabe oft nicht erfüllen kann, da sie keine staatlichen Tierheime hat. Wir haben einen guten Vertrag, wir kriegen Geld, solange das Tier da ist. Andere Tierheime haben schlechtere Verträge, da gibt es das nur für einen bestimmten Zeitraum, zum Beispiel zwei Wochen. Danach ist der Stadt egal, was mit dem Tier passiert.

Was passiert dann?
Von da an zahlen die Tierheime selber für die Unterbringung. Und die Personal- und Energiekosten sind immens hoch für den Betrieb eines Tierheims. Das liegt in der Natur der Sache. Sie können sich vorstellen, dass man viele Menschen braucht, rund um die Uhr, auch am Wochenende oder an Feiertagen müssen die Tiere betreut werden. Das ist der größte Kostenfaktor.

Was müsste geschehen, damit es keine ausgesetzten Tiere und überfüllte Heime mehr gibt?
Ich glaube nicht, dass das jemals aufhören wird. Aber es wäre für alle schön, wenn man sich als Haustierhalter registrieren müsste. Wenn es eine Art Führerschein dafür gäbe, dass man nur mit einer Bescheinigung ein Tier erwerben kann. Auf jeden Fall müsste der Handel über eBay und Co. verboten werden. Der Handel mit Tieren müsste massiv eingeschränkt und das Züchten mit Auflagen belegt werden.

Wird die Bevölkerung diesbezüglich aufgeklärt, gibt es Kampagnen?
Einzig und allein von den Tierschutzvereinen. Von staatlicher Seite wird nichts getan. Wir versuchen, viel aufzuklären. Was Welpenhandel angeht, was Zucht angeht. Aber auch das müssen die Organisationen alles selbst finanzieren, auch aus den Spendengeldern.

Haben solche Kampagnen etwas in der Vergangenheit bewirkt?
Mit passenden Bildern schon. Es war schon immer so, dass man solche Dinge ansprechen muss, damit den Leuten bewusst wird: Das ist nicht okay. Wenn jemand seinen Hund auf der Straße anschreit und ihn schlägt, spreche ich ihn auch an. Der Hund kann nichts sagen. Solange alle nur weggucken und keiner etwas sagt, glaubt derjenige, dass er sich im rechtsfreien Raum bewegt. Natürlich bewirken Öffentlichkeit und Kampagnen etwas, um ein Unrechtsbewusstsein überhaupt erstmal zu wecken.

Möchten Sie den Menschen, unseren Lesern, noch etwas mit auf den Weg geben?
Alle sollten Freunde und Verwandte, die sich ein Tier anschaffen möchten, bitten, es von einem Tierheim oder einer Tierschutzorganisation zu übernehmen. Auf gar keinen Fall aus irgendwelchen Kleinanzeigen, weil das in der Regel zu Lasten der Tiere geht. Auch wenn man Mitleid mit einer armen Kreatur hat, macht man nur Platz für das nächste Tier. Man fördert nur die Tiervermehrung. Und dass man, wenn man Tierquälerei sieht oder ein Tier in Not, die Leute auf jeden Fall anspricht. Das Tier kann nichts sagen. Wir sind verpflichtet, unsere Stimme zu erheben. Und das zu melden. An einen Tierschutzverein oder die Polizei.

Wir danken dem Cicero Magazin für das Gespräch und die Veröffentlichung.