Lotte wurde zahm gemacht, um Menschen zu gefallen. Darunter leidet sie sehr.

Gerade in Kleinanzeigen werden immer wieder „super zahme“ Papageien und andere Vögel angeboten, die aus isolierten Handaufzuchten stammen. Die Tiere leiden unter ihrer Fehlprägung auf den Menschen und werden schnell zum Wanderpokal, der in unsere Obhut kommt. Unsere Tierpflegerin Kerstin Schulz schreibt im Folgenden, warum Sie keinesfalls Vögel aus solchen Zuchten kaufen sollten.

Unsere Edelpapageidame Lotte roch nach Zigarettenrauch und hatte ganz zerzaustes Gefieder, als wir sie im Mai 2019 in unsere Obhut nahmen. Leider werden viele Papageien wie sie schlecht gehalten und leiden sehr darunter. Mittlerweile zeigt sich Lotte bei mir als ihrer Bezugstierpflegerin sehr anhänglich und vertrauensvoll. Streicheleinheiten genießt sie sogar so sehr, dass sie den Menschen zur Paarung auffordert. Das ist kein arttypisches Verhalten und bereitet Lotte viele Probleme, daher vermuten wir, dass sie eine Handaufzucht ist.

Im Video lernen Sie unsere Lotte kennen und erfahren von Kerstin Schulz, warum Handaufzuchten für die Tiere oft ein lebenslanges Leid bedeuten:

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Eltern und Kinder leiden

Besonders Papageien werden immer wieder künstlich von Hand aufgezogen, damit sie später als „super zahm“ verkauft werden können und dadurch auf dem Markt auch höhere Preise erzielen. Dies hat jedoch schlimme Folgen für die Tiere und ihren Nachwuchs! Die Elterntiere erleiden durch die Wegnahme der Eier oder Küken erheblichen Stress, denn wer verliert schon gern seine Kinder? Da Vögel dazu neigen eine feste Anzahl von Eiern ausbrüten zu wollen, wird bei Entnahme eines Eies aus dem Nest sofort ein neues Ei nachgelegt. Bei dauerhafter Entnahme der Eier produzieren die Hennen stetig Eier nach, was den Körper auf Dauer enorm auszehrt und schwächt.

Wir lehnen das Geschäft mit den Handaufzuchten der Tiere strikt ab! Foto: waz-online.de

Auch für die Küken gibt es Risiken und Probleme. Zum einen können sie bei der Fütterung durch ungeübte Halter*innen verletzt werden - weil der Futterbrei etwa zu heiß gefüttert wird oder weil mit einer Sonde ungeschickt hantiert und so der Kropf verletzt wird. Im schlimmsten Fall wird das Futter mit der Sonde in die Luftröhre verbracht! Auch kann mangelnde Hygiene zu Kropfinfektionen führen. Darüber hinaus fehlt den Küken die Mikroflora, die ihnen ihre Eltern beim Füttern weitergeben. Diese Mikroflora dient dem Aufbau des Immunsystems und der Darmbakterien. Da sie nicht künstlich erzeugt und zugesetzt werden kann, sind per Hand aufgezogene Jungvögel oft krankheitsanfälliger.

Verhaltensstörungen

Lotte sieht Menschen als Sozialpartner an, diese können ihre artspezifischen Bedürfnisse jedoch nie ausreichend befriedigen.

Aber auch das Verhalten der Tiere wird negativ beeinflusst. Gerade einzeln aufgezogene Vögel, die isoliert gehalten werden und keinen Kontakt zu Artgenoss*innen haben, erleiden wie unsere Lotte eine soziale und sexuelle Fehlprägung. Zum einen verstehen sie die Sprache der Artgenoss*innen nicht, da sie nie eine Chance bekamen diese vernünftig zu erlernen. Zum anderen sind sie auf den Menschen als Partner fixiert, der jedoch das Sozialbedürfnis nach Anwesenheit rund um die Uhr nicht erfüllen kann. Er reagiert auch nicht wie gewünscht auf sexuelles Verhalten. Dies führt auf Dauer zu Frustration und Triebstau. Sehr häufig werden diese Vögel auf einmal aggressiv und/ oder zeigen ein übersteigertes Sexualverhalten. Gleichzeitig sind Handaufzuchten öfter selektiv gegenüber Menschen. Das heißt, sie entwickeln einer bestimmten Person im Haushalt gegenüber eine besonders innige Beziehung, während alle anderen Personen abgelehnt werden. Diese werden öfter angegriffen und gebissen oder die Vögel leiden immens, sollte ihre Bezugsperson wegen Todesfall oder anderer Umstände auf einmal nicht mehr da sein.

Ein Leben in Einsamkeit

Lotte fühlt sich oft einsam und putzt sich zwanghaft. Kerstin Schulz verbringt so viel Zeit mit ihr wie möglich und wir suchen händeringend ein artgemäßes Zuhause für Lotte.

Da Papageien normalerweise rund um die Uhr Zeit miteinander verbringen und nur selten wirklich Abstand voneinander nehmen, leiden handaufgezogene Vögel häufig an emotionaler Einsamkeit. Die Nacht einsam im Käfig und auch das stundenweise Alleine-Sein, während der Mensch arbeitet oder einkauft, sind für den Vogel schwer emotional zu verarbeiten, sodass es zu gestörtem Verhalten kommt. Oft putzen diese Vögel sich unzureichend oder zu intensiv. Federbeißen, Federfressen, Federrupfen oder sogar Selbstverletzungen können die Folge sein. Auch Bewegungsstereotypien wie im Kreis zu laufen, auf den Beinen hin- und her zu treten, mit dem Kopf zu nicken, zu kreisen und anderes wird immer wieder beobachtet. Ebenso ist vermehrtes Kreischen und Schreien bei diesen Vögeln verbreitet, weshalb sie oft zum Wanderpokal werden - weil sich Menschen davon genervt fühlen.

Nein zu Handaufzuchten!

Nein zu Handaufzuchten als Geschäft mit dem Leid der Tiere!

Aus Tierschutzsicht ist eine Handaufzucht von Vögeln ohne triftigen Grund, wie zum Beispiel den Tod der Elterntiere, strikt abzulehnen. Nur damit der Vogel dem Menschen gegenüber von Anfang an zahm erscheint lässt sich das Leid, das die Tiere später erfahren, nicht rechtfertigen!

Sollte eine Handaufzucht notwendig werden, dann nur von sachkundigen Personen im entsprechenden Umfeld. Die Vögel sollten nicht alleine, sondern in einer Gruppe von Tieren gleicher Art aufgezogen werden. Die gemeinsame Aufzucht verschiedener Papageienarten kann zu Verhaltensproblemen und Fehlprägungen führen.
Der Kontakt zum Menschen sollte auf das Notwendigste beschränkt bleiben. In der Tiergruppe sollten nicht nur gleichaltrige Tiere vorhanden sein, sondern auch ältere, die unter natürlichen Bedingungen aufgewachsen sind, damit diese den jüngeren das arteigene Verhalten zeigen können.

Es ist zwar möglich, handaufgezogene Vögel wieder mit Artgenoss*innen zu vergesellschaften, aber der Weg dahin ist manchmal sehr lang und steinig, sodass viele Menschen ihn scheuen. Aus Sicht des Tieres ist er es in jedem Fall wert und bedeutet für die Vögel langfristig einen enormen Gewinn.

Auch Lotte steht als junge Henne noch am Anfang ihres Lebens und soll in ihrer Zukunft mit Artgenoss*innen artgemäß nach ihren Bedürfnissen leben können. Dafür werden wir sorgen.