Vögel sind in Tierheimen inzwischen genauso häufig anzutreffen wie Hunde oder Katzen. HTV-Tierpflegerin Kerstin Schulz hat als Gastautorin für das WP-Magazin einen Beitrag darüber verfasst, welche Vogelarten bei uns ein artgemäßes Zuhause suchen und was es bei der Adoption der Piepmätze zu beachten gilt (Ausgabe 6/2020). Den kompletten Artikel lesen Sie im Folgenden.
Durch den verbreiteten Handel über das Internet und zunehmende private Vermehrer*innen ist die Anzahl der Tiere in deutschen Tierheimen in den vergangenen Jahren sogar eher gestiegen. Auch das Tierheim Süderstraße des Hamburger Tierschutzvereins von 1841 e. V. (HTV) nimmt immer wieder Vögel in seine Obhut, um ihnen die Chance auf ein neues Leben zu ermöglichen.
Welche Vogelarten beherbergt der HTV?
Als zweitgrößtes Tierheim Deutschlands beherbergen wir eine große Artenvielfalt. Haushühner, Wachteln, Diamanttäubchen und Lachtauben befinden sich ebenso in unserer Obhut wie die bekannteren Sitticharten Wellen- oder Nymphensittiche. Auch Großpapageien wie Blaustirnamazonen und Graupapageien nehmen wir auf, was uns und andere Tierheime im Hinblick auf die Unterbringung und fachspezifische Versorgung mitunter vor große Herausforderungen stellt. Im HTV wurden 2019 zum Beispiel 464 Ziervögel wie Papageien und Prachtfinken sowie 266 Haushühner und Zier- beziehungsweise Brieftauben betreut – insgesamt also 730 Vögel. Im Jahr 2018 versorgten wir sogar mehr als tausend Tiere.
*Hier lernen Sie Kurti und unsere Welli-WG kennen.
Warum kommen Vögel überhaupt ins Tierheim?
Die Gründe dafür sind vielfältig. Es gibt Menschen, die die Tierhaltung aufgeben möchten und ihre Vögel abgeben. Andere Tiere werden gefunden – vielleicht sind sie weggeflogen, vielleicht ausgesetzt, in der Regel erfahren wir das nicht. Denn leider sind noch die wenigsten Vögel bei Haustierregistern wie „Tasso“ oder „Findefix“ – ein Register unseres Dachverbands, dem Deutschen Tierschutzbund – registriert, so dass eine Rückführung zu den Halter*innen leider nahezu unmöglich ist. Etliche andere Schützlinge kommen auch als behördliche Sicherstellung zu uns ins Tierheim. Hier liegen oft schlechte Haltungsbedingungen aufgrund eines unüberlegten (Online-)Kaufs zugrunde oder die Halter*innen sind verstorben, ohne dass ein Erbe oder eine andere Person sich um die Tiere kümmern kann.
Was für ein Zuhause suchen die Vögel?
Viele Menschen möchten einem nicht gewollten oder geretteten Tier eine Zukunft bieten. Für unsere Vögel wünschen wir uns vor allem ein Zuhause, dass zu den Bedürfnissen der jeweiligen Art passt. Wir legen viel Wert darauf, dass die Tiere mindestens paarweise gehalten werden – alles andere wäre für sie nicht vertretbar. Wenn Interessent*innen nur einen Vogel adoptieren wollen, muss also mindestens ein weiteres artgleiches und optimalerweise ein gegengeschlechtliches Tier vorhanden sein. Kakadus, Amazonen, Aras und Graupapageien bleiben ihren Partner*innen in der Regel ein Leben lang treu und verbringen die gesamte Zeit mit ihnen. Daher kann ein Mensch einen Vogelpartner oder eine -partnerin nicht ersetzen. Gerade bei den größeren Papageien wünschen sich Menschen immer noch, dass diese sprechen lernen – und glauben irrtümlicherweise, dies ginge nur, wenn das Tier alleine gehalten wird. Doch dem ist nicht so: Auch paarweise gehaltene Tiere können je nach Art das Sprechen erlernen, wenn der Mensch sich genug mit ihnen beschäftigt. Grundsätzlich benötigen Vögel Freiflug und, je nach Art, ausreichend Platz dafür – ideal ist zum Beispiel ein eigener Raum. Weitere Besonderheiten können im Tierheim vor Ort persönlich besprochen werden.
*Hier lernen Sie Käptn Chaos und seine Gerti sowie Helmut kennen.
Was ist vor der Adoption zu bedenken?
Ist ein Haushaltsmitglied zum Beispiel an Asthma erkrankt oder leidet unter Allergien, ist eine Haltung von Vögeln gänzlich zu überdenken. Der Staub des Gefieders verteilt sich im gesamten Wohnraum, auch wenn die Tiere nur in einem der Zimmer leben. Auch sind Papageienartige sehr umtriebige Tiere: Es wird alles angenagt und zerstört, was vor den Schnabel kommt, was bedeutet, dass das Zimmer besonders gesichert sein sollte. Darum: Es muss klar sein, dass keine Dinge offen herumliegen dürfen – insbesondere auch keine sicht- und erreichbaren Kabel. Ebenfalls sollten nicht gerade Möbelantiquitäten in dem Raum stehen, in dem die Vögel Freiflug haben. Man kann den Vögeln nicht abgewöhnen Dinge anzunagen, denn das gehört zu ihrer Natur. Auch entscheiden sie selber, was sie interessant finden und was nicht. Vögel sind fröhliche und gesellige, aber weder leise noch besonders saubere Haustiere. Ein Kakadu in einer Mietswohnung wird bei den Nachbarn möglicherweise nicht auf Gegenliebe stoßen. Und sogar im Wohneigentum, also einem Haus oder einer Wohnung mit Garten, kann es mit der Haltung von Papageien Probleme geben, wenn die Nachbarn sich an deren Geräuschen stören. Hier wären kleinere und leisere Arten wie Wellensittiche, Ziegensittiche oder die zahlreichen Arten der Prachtfinken die bessere Wahl. Darüber hinaus befinden sich auch Hühner in unserer Obhut, die sich ebenfalls einen, ihren Bedürfnissen entsprechenden großen Auslauf mit allem, was Huhn so braucht, wünschen.
Zum Wesen der Vögel ist zu sagen: Nicht alle Tiere werden handzahm und nicht jede Art bevorzugt engen Kontakt. Der Vogel an sich ist daher eher ein beeindruckendes Tier zum Beobachten. Zudem muss, wie bei jedem Haustier, eine Betreuung im Krankheitsfall oder im Urlaub gewährleistet sein.
Wie sieht es mit der Vergesellschaftung von Vögeln aus?
Da in den Tierheimen die Besatzdichte oft recht hoch ist und die Volieren nicht so groß sind, wie eigentlich nötig, zeigen manche Arten bei der Vergesellschaftung kaum Probleme. Man darf sich beim Besuch im Tierheim aber nicht täuschen lassen: In der Regel sind unter idealen Bedingungen die Vergesellschaftung und gemeinsame Haltung der verschiedenen Arten nicht so unkompliziert. Im Tierheim führen der Stress durch die vielen Tiere und Besucher*innen sowie die, für die Vögel eher unattraktiven Lagen und Größen der Volieren dazu, dass vor allem territoriale Verhaltensweisen (also das Verteidigen eines Gebietes gegen Artgenoss*innen) nicht gezeigt werden. Auch kommen im Tierheim geschlechtsgleiche Tiere aus den oben genannten Gründen oftmals besser miteinander klar, als es in einem idealen Zuhause der Fall wäre. Die Unterbringung in einem Tierheim ist daher immer nur als Zwischenlösung zu sehen, nicht als Vorbild.
*Hier lernen Sie Farin und das Pärchen Peterle und Petra kennen.
Was wird für die Vermittlung benötigt?
Interessent*innen sollten für die Vermittlung aussagekräftige Bilder mitbringen, auf denen die Größe der Voliere entweder durch einen Zollstock oder eine danebenstehende Person eingeschätzt werden kann. Wie groß die Unterkunft für die gefiederten Freund*innen sein muss, hat die tierärztliche Vereinigung für Tierschutz e.V. (TVT) festgehalten. Die meisten Menschen sind überrascht, wie viel Platz die Haltung eines Vogelpaares verlangt. Die Zeiten des kleinen Käfigs auf der Fensterbank sind inzwischen glücklicherweise vorbei. Darüber hinaus führen wir, wie viele andere Tierheime auch, häufig eine Nachkontrolle der Haltungsbedingungen durch.
Die Vermittlung steht ja am Ende Ihrer erfolgreichen Tierschutzarbeit. Wie werden die Vögel im Tierheim Süderstraße während ihres Aufenthalts versorgt?
Nach der Aufnahme wird bei uns im HTV wird jeder Vogel zuerst einmal in unserer tierheimeigenen Praxis untersucht. Die Tierärztinnen prüfen, ob der Vogel einen Ring oder einen Transponder trägt und wie das Gefieder und der Ernährungszustand sind. So stellen wir sicher, dass jeder gefiederte Schützling von Beginn an bestmöglich behandelt und versorgt werden kann. In Tierheimen, die keine eigenen Tierärzt*innen haben, kommt in der Regel innerhalb der ersten Tage ein*e Veterinärmediziner*in ins Haus. Bei Großpapageien machen viele Tierheime bei der Aufnahme schon einen Virentest. Zeigen sich keine Auffälligkeiten, werden die Tiere in unser Vogelhaus gebracht, wo sie während der ersten 14 Tage unter Beobachtung separat sitzen. So können wir feststellen, ob sie akute Infektionskrankheiten haben und eine Übertragung ausschließen. Sofern möglich, werden die Vögel danach mit Artgenoss*innen in einer Voliere vergesellschaftet.
Eine besondere Herausforderung für jedes Tierheim sind chronisch kranke oder behinderte Vögel, die besonderer Pflege und Fürsorge bedürfen. Wir kooperieren hier mit spezialisierten Vereinen, wie zum Beispiel dem Hürdenwellies e.V., die unsere Tiere aufnehmen. Auch auf private Pflegestellen greifen wir teilweise zurück: So betreue ich zurzeit drei Ziegensittiche zuhause, die hoffentlich irgendwann ihr Für-Immer-Zuhause finden werden.
*Hier lernen Sie Samira und Rubi kennen.
All unsere Piepmätze sind es Wert, ein artgemäßes Zuhause zu finden.
Was ist für Sie das Schönste an Ihrer Arbeit?
Als Tierpflegerin habe ich schon so einige Schützlinge kommen und gehen sehen. Besonders verliebt habe ich mich dabei in die Edelpapageien. Als ich die Papageienstation übernahm, gab es dort eine Edelpapageien-Henne namens Rosalie. Sie war bei uns im Tierheim berühmt berüchtigt, da sie jeden Menschen angriff, der bei ihr saubermachen oder sie füttern wollte. Sie kam sofort angerast und biss sich fest, wenn sie konnte. Letztendlich kam heraus, dass Rosalie mit den Bedingungen im Tierheim nicht sehr gut zurechtkam. Was die rot-blaue Charakterdame brauchte, war Zeit. So habe ich mich oft nach Feierabend zu ihr gesetzt – zuerst vor, dann in die Voliere, damit sie sich in Ruhe mit mir befassen konnte. Und sie bekam Leckerchen, damit sie lernte, dass die Anwesenheit des Menschen etwas Positives sein kann. Zum Schluss ließ sich Rosalie von mir anfassen und wurde zu einem alleinstehenden Edelpapageien-Hahn vermittelt. Noch heute stehe ich mit der neuen Halterin in Kontakt und dort ist Rosalie ein ganz normaler Vogel, der nie wieder jemanden angegriffen hat.
Aktuell betreue ich den Blaustirn Amazonen-Hahn Coco, der ähnliche Probleme hat. Coco kam aus schlechter Haltung zu uns und hat vermutlich nie wirklich positive Erfahrungen mit Menschen gemacht. Demzufolge findet er im Moment alle und jeden zum Davonjagen. Wenigstens konnten wir ihm die Blaustirn-Henne Baby dazusetzen, so dass er nicht mehr allein ist. Der Rest ist eine Frage von Zeit und Geduld. Diese zahlt sich immer aus, denn all unsere Piepmätze sind es Wert, ein artgemäßes Zuhause zu finden.
Wir danken dem WP-Magazin für die Veröffentlichung und unserer Tierpflegerin für Ihren tollen Einsatz!