Für verstoßene Haus- oder verwaiste Straßenkatzenkinder bin ich, Stefanie Bauche (HTV-Vorstandsbeisitzerin) Ersatzmama - seit 10 Jahren im Auftrag des Hamburger Tierschutzvereins, doch mein erstes Flaschenkind hatte ich bereits im Jahr 1978.
Manch‘ Kätzchen einer Streunerin wird mehr tot als lebendig gefunden. Leider wird der Kampf um das kleine Leben nicht immer gewonnen.
Denn Streuner leben in Hamburg ein Leben voller Entbehrungen: Die Mütter sterben elendig, weil das Kinderkriegen ihre letzte Kraft verbraucht. Ihre Babys sind häufig von Geburt an unterernährt und krank. Deswegen sind Orte so wichtig, an denen Straßenkatzen versorgt und unkastrierte Katzen eingefangen werden können.
Fast ebenso häufig werden ausgesetzte Kitten gefunden, unerwünschte Kinder von unkastrierten Hauskatzen - wie Persy, der in einem Mülleimer gefunden wurde. Sind sie schon länger unversorgt, steht auch ihr Leben auf der Kippe. Die nötige intensive Pflege kann im Tierheim nur schwer geleistet werden. Die beiden Geschwister aus einem Karton, abgestellt an einer Bushaltestelle, starben bevor ich sie in Empfang nehmen konnte. Wie viele Menschen liefen wohl an diesem Karton vorbei, bevor jemand ihn öffnete?
Die Mai-Kätzchen sind da - gerade geboren und schon Waisen
Die Geschichte von Hanka, Henja und Hugali
Mai 2021: Drei von ihnen haben Glück im Unglück: Als Babys einer gut versorgten freilebenden Hofkatze sind sie weder unterernährt noch krank und haben keine Parasiten. Leider erfüllte der Tierheimalltag die Mutter mit unüberwindbarer Angst. In ihrer Box versteckt hoffte sie, schnellstmöglich fliehen zu können - und nahm ihre Kinder nicht an. Im Tierheim ausharren zu müssen wäre zur Qual für sie geworden.
So ist wieder eine Pflegemama gefragt. Vor mir liegen anstrengende Wochen mit wenig Schlaf.
In der zweiten Woche habe ich Glück, wenn das Trinken gelernt ist und die Menge reicht, um „nur“ noch alle drei Stunden zu füttern. Anschließend will die Milch auch wieder aus der Blase raus: Da Kätzchen noch nicht fähig sind, loszulassen, ersetzt eine Massage mit einem warmfeuchten Wattepad Mamas Zunge. Die Belohnung für die vielen Stunden Kätzchenbetüddeln sind erste wohlige Schnurrlaute und Einkuscheln in meine Hand.
Die folgenden Tage werden noch mal spannend, anschließend haben wir das Gröbste geschafft:
- um den 10. Tag herum öffnen sich die Augen: Kitten kann hell und dunkel unterscheiden, aber noch nichts erkennen - das macht unwirsch
- die Zähnchen brechen durch – auch das macht Schmerzen und schlechte Laune
- die Pfoten sind gewachsen und jetzt beweglich – und die Krallen als bevorzugtes Mittel gegen den Missmut zum ersten Mal genutzt (für meine Finger bedeutet das, sie werden als Beißring und zum Perforieren gebraucht, aber das kenne ich ja schon.)
Mit 14 Tagen ist die 300-g-Marke erreicht, die Gehörgänge sind geöffnet und die Augen können schon ein wenig sehen. Die Nackenmuskulatur ist stark genug, um den Kopf wackelnd hoch zu halten und die Beinchen machen die ersten Laufversuche, anstatt zu robben. Auch das Interesse an Gegenständen erwacht und der Drang, woanders hin zu wollen – erste tollpatschige Spielversuche folgen. Die erste Katzenwäsche wird geübt: die eigene, aber auch die soziale an den Geschwistern und an mir, der „Mama“.
Mit drei Wochen sind Temperament und Willensstärke der Kitten schon deutlich zu unterscheiden: Die schwarz-weiße Hanka ist ganz klar die mit dem größten Dickkopf und in der Entwicklung ihren Geschwistern Henja und Hugali einige Tage voraus.
Sowieso sind auch bei Katzenkindern die unterschiedlichsten Charaktere vertreten. Das ungewöhnlichste Duo in meiner Geschichte als Pflegemama waren Nona und Manu, die ich 2015 aufnahm: Das kleine Katzenmädel, Nona, mit ca. 14 Tagen alleine aufgefunden, wollte noch mit fünf Wochen nicht laufen. Nach dem Motto: „Ich falle ja um, also lass ich das lieber“. Animierungsversuche, sie zu mir herbeilaufen zu lassen, blieben erfolglos – sie blieb weinend sitzen. Der drei Wochen jüngere Kater Manu dagegen, als letzter aus seinem Wurf vor dem Ertrinken gerettet, wollte schon mit einer Woche loslaufen. Sein Motto: „Ich falle zwar um, aber egal, ich muss das weinende Mädel trösten“. So hat er ihr das Laufen beigebracht. Manu liebte sie vom ersten Hören an. Noch heute gerät er in Verzweiflung, wenn Nona sich aus seiner Sichtweite entfernt und auch der Tierarztbesuch klappt nur mit beiden zusammen in einem Transportkorb.
Aber zurück zu Hanka, Henja und Hugali. Jetzt beginnt die „spannende Zeit“:
- Wenn die Beinchen sind stark genug, damit sie im breitbeinigen Pampersgang hoppeln und erste tollpatschige Anschleichversuche unternehmen können - und sich riesig freuen, wenn es klappt.
- Wenn jedes vorhandene Härchen am Flaschenbürstenschwanz gesträubt und das dicke Milchbäuchlein nach oben gedrückt wird, um für die ersten Drohgebärden ansatzweise einen Buckel zu produzieren, bevor das Seitwärtsgehen ohne umzufallen geübt wird – und sich dabei stark und furchterregend fühlen.
- Wenn sich dann aber doch ab und an versichert werden muss, dass „Mama“ nicht abhandenkam, indem ganz schnell zu mir gerannt wird, um sich schnurrend anzukuscheln – und dann wieder wegzustratzen.
Kurz: Wenn Kitten alles tun, was Katzenkinder mit Begeisterung tun, kann ich stundenlang zuschauen.
Auch das Kuscheln wird immer wichtiger, sollen doch die Kleinen mit den Streuner-Genen erfahren, dass sie von Menschen geliebt werden und Vertrauen zu uns fassen.
Werden Katzenkinder in diesem Alter gefunden, zeigt sich sehr schnell ob sie ausgesetzt oder wildgeboren sind. Die einen weinen verzweifelt und laufen Menschen hinterher. Die anderen kämpfen sofort um ihr Leben, mit allem was sie haben, knurren und fauchen. Anfassen? Keine Chance ohne Kratzmuster auf den Händen. Doch das ist es allemal wert.