Dieser Igel war auf Unterstützung angewiesen und wurde bis zur Auswilderung aufgepäppelt.

Pressemitteilung vom 23. Oktober 2023

Herbstzeit ist Igelzeit – und damit leider auch die Zeit der falsch verstandenen Tierliebe. Jedes Jahr nimmt das Tierheim Süderstraße des Hamburger Tierschutzverein von 1841 e.V. (HTV) Hunderte Igel auf, 2022 waren es fast 600. In den vergangenen Wochen wurden zahleiche Igelbabys ins Tierheim gebracht. Das Tragische: Viele Tiere sind gar nicht hilfebedürftig.

Zurzeit sind noch viele Jungtiere auf Nahrungssuche, um sich eine ausreichend dicke Fettschicht für ihren Winterschlaf zuzulegen. Diese Zeit können sich die stacheligen Gesellen im Herbst auch getrost nehmen. “Die meisten Igel brauchen keine Starthilfe in ein selbstständiges Leben – im Gegenteil: Ein Jungtier muss lernen, Nahrung zu finden. Steht immer ein voller Napf vor der Nase, wird das Tier darauf trainiert und somit fehlgeprägt“, gibt Dr. Urte Inkmann, tierärztliche Leiterin und Tierheimleitung des HTV, zu bedenken. Eingesammelt werden sollten nur eindeutig verletzte, kranke oder sehr schwache Tiere. Im Laufe dieses Jahres hat der HTV schon mehr als 400 Igel aufgenommen, ein Ende ist erfahrungsgemäß noch nicht in Sicht.

Soforthilfe in der Natur

„Oft werden Igel im Tierheim abgegeben, weil sie vermeintlich zu mager sind. Das stimmt aber nicht immer. Wenn Sie unsicher sind, beantworten wir gern alle Fragen, bevor der Igel aus seinem Lebensraum genommen wird – zum Beispiel auch zur Fütterung von Jungtieren“, erläutert die Leiterin der HTV-Tieraufnahme Katrin Hallmeyer. Igel sind Insektenfresser – auch durch den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln werden sie oft ihrer natürlichen Nahrungsgrundlage beraubt. In Gärten und Parks, die zu „aufgeräumt“ und damit arm an Insekten sind, ist das regelmäßige, artgemäße Zufüttern von Igeln sinnvoll. Leider geben viele Menschen den Igeln schädliches Futter, wie zum Beispiel Milch, Obst, Gemüse, rohe Eier oder gewürzte Essensreste: „Sinnvoll sind nur getreidefreies Katzen-Feuchtfutter mit einem Fleischanteil von mindestens 60 Prozent, sowie Insekten. Zudem sollte Wasser immer bereitstehen“, erklärt Katrin Hallmeyer. Wer also den stacheligen Gesellen im eigenen Garten helfen möchte, sollte draußen zufüttern – mit Bedacht und dem nötigen Wissen. Auch was die Schlafplätze angeht, können wir Menschen Hilfe leisten. Katrin Hallmeyer: „Man tut den Igeln einen großen Gefallen, wenn man Laubhaufen im Garten liegenlässt – dort können die Tiere einerseits sicher schlafen und finden andererseits ausreichend Nahrung.“ Ebenso geeignet sind unter anderem alte Baumstümpfe, Hecken oder Holzstapel, Reisig, Holzverschnitt und fachgerechte Igelhäuser. Gefahrenquellen für Igel, wie zum Beispiel Kellerschächte und Gartenpools, sollten abgedeckt werden.

Mehr als 400 Igel wurden dieses Jahr bereits im Tierheim aufgenommen.

Wann sollte man einen Igel in Obhut nehmen?

Nach dem Bundesnaturschutzgesetz ist es grundsätzlich verboten, Igel aus der Natur zu entnehmen. Erst nach genauer und gewissenhafter Beobachtung darf ein Igel in menschliche Obhut genommen werden. Auf jeden Fall sollte er dann tierärztlich untersucht werden. Auch im Tierheim Süderstraße wird jeder Igel in der tierheimeigenen Praxis untersucht und bei Bedarf fortlaufend behandelt. Nur in bestimmten Ausnahmen sollte man einen Igel aufnehmen:

1. Der Igel ist verletzt oder krank
Oft deuten schon Fundorte und -umstände wie Straßen oder Baustellen auf Verletzungen hin. Kranke Igel erkennt man daran, dass sie tagsüber herumliegen, mager sind (mit einer sogenannten Nackenfalte / Einbuchtung am Hinterkopf) und sich apathisch oder taumelig verhalten. Starker Parasitenbefall mit Zecken und Flöhen ist ebenso Grund zur Sorge, Fliegeneier oder geschlüpfte Maden ein Alarmsignal zur sofortigen Hilfe.

2. Der Igel ist jung und verwaist
Igelkinder, die sich tagsüber außerhalb ihres Nests befinden, noch geschlossene Augen haben und sich womöglich kühl anfühlen, benötigen dringend Hilfe. Doch aufgepasst: Sie sollten nicht mit älteren Jungigeln verwechselt werden, die auch tagsüber nach Nahrung suchen. Diese sind selbstständig lauffähig, haben die Augen geöffnet und bereits ein vollständiges Fell- und Stachelkleid entwickelt.

3. Der Igel läuft bei Dauerfrost oder Schnee herum
Bei Igeln, die bei frostiger Witterung tagsüber draußen herumlaufen, kann es sich um kranke oder schwache Alttiere handeln. Oft sind es auch Jungtiere, die zu spät geboren wurden, um sich ein für den Winterschlaf ausreichendes Fettpolster anzuessen. Doch diese Witterung ist noch weit entfernt. „Gewichtsangaben für den Frühherbst als Hochrechnung für das Überwinterungspolster sind unseriös, da die Fortpflanzungsperiode gerade erst anfing und ein Jungigel bis zu 100 Gramm die Woche zulegen kann. Ein ausgewachsener Igel aus dem Vorjahr ist mit aktuell 500 Gramm besorgniserregend dünn, ein Jungigel mit diesem Gewicht ist dagegen ausreichend gut genährt“, führt Dr. Urte Inkmann aus.

Fazit:
Die beste Hilfe ist, den Igeln auf natürliche Weise unter die Arme zu greifen, also den Garten nicht „aufzuräumen“ und die Stacheltiere bei Bedarf artgerecht zuzufüttern. Eingesammelt werden müssen Igel nur in Ausnahmefällen, da sie als einheimisches Wildtier seit eh und je auch mit der kalten Jahreszeit bestens zurechtkommen. In menschlicher Obhut sind das Nahrungsangebot und die Begleitumstände niemals ein vollständiger Ersatz für die Natur und stellen auch Gefahren dar. Glücklicherweise können die Schützlinge, die sich im Tierheim Süderstraße oder in privater Pflege befinden und wieder zu Kräften gekommen sind, bei der aktuellen Witterungslage und Wetterprognose noch ausgewildert werden. Daher befinden sich zurzeit nur knapp 30 Igel in der Obhut des HTV.