Listenhund Nico hat zum Glück ein Zuhause außerhalb Hamburgs gefunden.

Unsere tierärztliche Leiterin Dr. Urte Inkmann hat der Zeitschrift DER HUND ein Interview zum Thema Listenhunde gegeben. Darin bekräftigt sie unter anderem
die Forderung an die Politik, die Rasseliste gänzlich abzuschaffen und Hunde nur noch nach ihrem Verhalten zu beurteilen - wie es in benachbarten Bundesländern seit Langem der Fall ist. Die Fragen der Redakteurin Lena Schwarz und die Antworten dürfen wir hier veröffentlichen.

DER HUND: Aus welchen Gründen landen die Hunde bei Ihnen im Tierheim und von woher stammen sie (die Haltung wäre ja theoretisch verboten/mit Auflagen verbunden)?

Dr. Urte Inkmann: Sogenannte Listenhunde gelangen aus unterschiedlichen Gründen in unsere Obhut. Viele werden aufgrund ihrer Rasse behördlich sichergestellt. Denn die Haltung der Rassen, die zur Kategorie 1 gehören – American Pitbull Terrier, American Staffordshire Terrier, Staffordshire Bullterrier und Bullterrier sowie deren Mischlinge – ist nach dem Hamburgischen Hundegesetz verboten. Außerdem müssen sich Gäste aus anderen Bundesländern an die Regeln in Hamburg halten. Das ist aber nicht allen klar und führt ebenfalls zu Sicherstellungen (zum Beispiel bei fehlendem Maulkorb). Wir erleben auch immer wieder, dass gerade Listenhunde tierschutzwidrig gehalten und daher behördlich sichergestellt werden.

DER HUND: Wie viele dieser Hunde leben aktuell bei Ihnen (welche Rassen/Mixe)?

Dr. Urte Inkmann: Derzeit kümmern wir uns im Tierheim Süderstraße allein um 28 Hunde der Kategorie 1. Hinzu kommen fünf weitere Hunde, deren Haltung aufgrund ihrer Rasse in Hamburg verboten ist, die aber durch einen bestandenen Wesenstest in Hamburg ihre Verträglichkeit ‚beweisen‘ können.

DER HUND: Nimmt die Anzahl der „Langzeitgäste“ zu?

Dr. Urte Inkmann: Die Zahl der Listenhunde ist seit 2019 gleichbleibend ziemlich hoch.

DER HUND: Lässt sich eine ungefähre Aussage dazu treffen, wie lange ein Hund, der keinen besonderen Regeln unterworfen ist, im Vergleich zu den Listis im Tierheim bleibt?

Dr. Urte Inkmann:
Hunde, die nach dem Hamburgischen Hundegesetz als nicht gefährlich gelten und deren Haltung somit uneingeschränkt möglich ist, sind deutlich kürzer bei uns als sogenannte Listenhunde. Wir sprechen hier von einer durchschnittlichen Verweildauer von unter sechs Monaten, während unsere Listis allein durch behördliche Sicherstellungen und die geltenden Auflagen für eine Vermittlung, dazu gehören ein bestandener Wesenstest und eine Kastration, in der Regel ein Jahr und länger auf ihr neues Zuhause warten müssen. Einige unserer Hunde bleiben sogar mehrere Jahre in unserer Obhut, was wir uns für die Tiere natürlich nicht wünschen.

DER HUND: Wie sieht die Gesetzeslage für diese Tiere momentan aus – was bedeutet sie für den Alltag?

Dr. Urte Inkmann: Im Hamburgischen Hundegesetz werden Hunde nur aufgrund ihrer Rasse als unwiderlegbar gefährlich eingestuft. Das entbehrt nicht nur aus ethologischer Sicht, sondern auch im Alltag jeglicher Grundlage, da nachgewiesen ist, dass es in jeder Rasse ein großes Spektrum an Charaktereigenschaften gibt. Kein Hund ist nur aufgrund seiner Rassezugehörigkeit gefährlich. Als Konsequenz bleiben diese Hunde oft wesentlich länger bei uns im Tierheim. Die vielen Hamburger*innen, die bei uns ein Tier suchen, können diesen Hunden keine Chance geben. Das wäre nur mit einer Ausnahmegenehmigung aufgrund eines besonderen Interesses möglich, welches aber nie gewährt wird. Und selbst dann würden alle Auflagen wie Maulkorbzwang, kurze Leine, kein Freilauf auf Hundewiesen und keine Mitfahrt im öffentlichen Nahverkehr gelten – ganz unabhängig von den Ergebnissen eines Wesenstests. Kommen dann noch alters- und krankheitsbedingte Schwachstellen oder fehlende Sozialisierung in der Prägephase bei den Tieren dazu, sinken die Vermittlungschancen weiter. Am Schicksal von unserem Alfi haben wir gesehen, wohin das führt. Der menschenbezogene Rüde blieb trotz bestandenem Wesenstest viereinhalb Jahre bei uns, bis er im Alter von 13 Jahren starb.

DER HUND: Gibt es ein Trainingsprogramm, in das Vierbeiner integriert werden, die aufgrund von Versäumnissen vorheriger Haltern/Halterinnen zusätzlich zur Rasse Schwierigkeiten mitbekommen haben?

siehe nachfolgende Antwort

DER HUND: Gibt es auch Erfolgsgeschichten/Hoffnungsschimmer?

Dr. Urte Inkmann: An dem Gesetz hat Hamburg seit 15 Jahren nicht gerüttelt und es zeichnet sich seitens der Politik auch keine Bereitschaft ab, das zu ändern. Im Gegenteil: Die regelmäßige Evaluation wurde abgeschafft. Erfolge, die wir in Bezug auf unsere Listis verzeichnen können, sind Vermittlungen in andere Bundesländer, die es erfreulicherweise auch immer wieder gibt, sowie unsere Unternehmungen, Hunde, die noch nicht viel für das Zusammenleben mit Menschen gelernt haben, darauf vorzubereiten.

DER HUND: Gibt es Bundesländer, die Sie aufgrund der dort anderen Regelungen als Vorbild sehen?

siehe nachfolgende Antwort

DER HUND: Was wünschen Sie sich an Änderungen?

Dr. Urte Inkmann: Wir als Hamburger Tierschutzverein von 1841 e.V. fordern die Politik auf, die Rasseliste gänzlich abzuschaffen und Hunde nur noch nach ihrem Verhalten zu beurteilen, wie dies seit Langem in Bundesländern wie Schleswig-Holstein oder Niedersachsen der Fall ist. Als Übergangslösung wäre den Hunden bzw. uns damit geholfen, Angehörige der Rassen der Kategorie 1 wie solche der Kategorie 3 zu behandeln (die ihre unterstellte Gefährlichkeit widerlegen können). Und dann sollte auch die Adoption eines Hundes aus dem Tierheim als besonderes Interesse gewährt werden.

DER HUND: Wenn Sie sich den/die perfekte/ Halter/in für Ihre Schützlinge „bauen“ könnten – wie sähe diese/r aus?

Dr. Urte Inkmann:
Potentielle Halter*innen sollten verstehen, welche Bedürfnisse der Hund hat und diesen gerecht werden. Bewegungsfreudige Hunde brauchen viel Auslauf, Welpen viel Zeit, jagdfreudige Hunde müssen mitunter entsprechend gebremst werden. Bei unseren Listis kommt es natürlich auch immer auf die individuelle Hundepersönlichkeit an, wie viel Unterstützung wo benötigt wird. Einige Hunde mögen Artgenoss*innen nicht, wiederum andere lieben sie. Alle Hunde benötigen fachkundige Halter*innen, die Ahnung vom Verhalten der Tiere und von tierschutzkonformer Hundeerziehung haben.

DER HUND: Glauben Sie, dass es in Deutschland genug dieser geeigneten Menschen gibt?

Dr. Urte Inkmann: Wie immer gibt es verantwortungsbewusste, rücksichtsvolle Halter*innen, die ihren Hund gut kennen, dementsprechend auf ihn eingehen und mit ihm umgehen. Es gibt aber auch jene, die das nicht tun. Daher wäre eine theoretische und praktische Sachkundeprüfung für Halter*innen aller Hunde vor der Anschaffung sinnvoll.