„Ach, die sieht aber süß aus“, diesen Satz hören wir bei Katzen mit Qualzuchtmerkmalen besonders oft von Interessenten. Viele Menschen können sich überhaupt nicht vorstellen, welchen Preis die Tiere für ihr „süßes Aussehen“ bezahlen und welche Bedeutung daraus für ihr Leben und ihre Lebensqualität resultiert.
Durch gezielte Zucht wurde vom Menschen auch bei Katzen eine Rassevielfalt geschaffen, während bei den freilebenden Katzen „survival of the fittest“ galt und sich dort ein Typus zahme Katze – bei uns in Deutschland die Europäische Hauskatze – herauskristallisiert hat. Während viele Zuchttiere gerade in den letzten Jahrzehnten rein auf optische Merkmale gezüchtet wurden, wurde das eigentliche Ziel, gesunde und charakterlich ausgeglichene Tiere zu züchten, völlig in den Hintergrund gedrängt.
Die starke Ausprägung und Betonung von optischen Merkmalen ist nur zu erreichen, wenn körperliche Deformationen mit der Folge von Handycaps und schweren Erkrankungen der betroffenen Tiere in Kauf genommen werden. Durch die Züchtung von „Designertieren“ sind die sogenannten Qualzuchten entstanden. Qualzucht bezeichnet die Zucht von Tieren, die aufgrund ihrer körperlichen Merkmale erhebliche gesundheitliche Probleme haben oder leiden müssen. Bei Katzen zeigt sich dies in verschiedenen Rassen und Zuchtlinien in unterschiedlich starker Ausprägung.
Merkmale der Qualzucht: Starke körperliche Deformationen oder genetische Erkrankungen
Bestimmte Rassen, wie die Perserkatze oder die Scottish Fold, sind für ihre auffälligen Qualzuchtmerkmale bekannt. Bei Perserkatzen führt die extreme Kurznasigkeit zu Augenerkrankungen und zu schweren Atemproblemen, während die Schottischen Faltohrkatzen aufgrund der Genmutation, die für ihre gefalteten Ohren verantwortlich ist, häufig unter Gelenk- und Bewegungsproblemen leiden. Da diese nicht zu behandeln sind, müssen die Tiere im fortgeschrittenen Stadium der Erkrankung eingeschläfert werden, um sie von ihren Schmerzen zu erlösen.
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Maine-Coon-Katzen werden zusätzliche Zehen angezüchtet und als Zuchtziel definiert – zudem bekommen viele dieser Rassetiere eine Hüftdysplasie, die eine OP nach sich zieht, bei der die Hüftköpfe des Oberschenkelknochens entfernt werden müssen. Eine große Rolle spielen auch das Fell und seine Farbe: Weiße Katzen sind häufig taub, was mit den Worten „Ach, die sitzt doch sowieso nur in der Wohnung“ abgetan wird.
Langhaarige Katzen verfilzen ohne regelmäßige Fellpflege durch ihren Menschen und sind nicht alleine in der Lage, ihr Fell zu pflegen. Im schlimmsten Fall müssen diese Tiere in Narkose gelegt werden, um das Fell zu scheren. Nacktkatzen, wie Sphinxkatzen, haben häufig keine Tasthaare. Diese sind ein eigenes Organ, das den Tieren eigentlich hilft, sich in der Welt zurechtzufinden. Außerdem sind Nacktkatzen nicht in der Lage ihre Körpertemperatur zu regulieren und leiden sehr häufig unter Hauterkrankungen. Sie wären ohne intensive Pflege durch Menschen nicht überlebensfähig.
Viele Rassekatzen, wie zum Beispiel Siamkatzen, leiden an genetisch bedingten Herz- und/oder Nierenerkrankungen, die ihr Leben erheblich verkürzen und zum Erhalt der Lebensqualität eine intensive tiermedizinische Betreuung benötigen. Einige Katzenrassen sind durch die Einkreuzung von Wildkatzen entstanden. Diese sogenannten Hybriden neigen zu Verhaltensauffälligkeiten und sind für eine reine Wohnungshaltung nicht geeignet. Rassen wie die Bengalkatze sind für ihre hohe Aktivität und Energie bekannt, was für viele Halter zu Problemen führen kann. Da die Katzen „nerven“, weil sie ihrer Art entsprechend als zu aktiv, zu laut oder sogar aggressiv empfunden werden, führt das dazu, dass die Tiere ausgesetzt werden und im Tierheim landen. Auch Minderwuchs, wie bei den Munchkin-Katzen („Dackelkatzen“), ist ein optisch erwünschtes Merkmal, das aktiv gezüchtet wird. Hierbei wird eine Knorpel- und Knochendeformation nicht nur in Kauf genommen, sondern ausdrücklich gewünscht. Was auf den ersten Blick niedlich scheint, bringt schreckliche Schmerzen mit sich.
Keine Chance für Kätzchen Silver
Ein trauriges Beispiel dafür ist Kätzchen Silver, die im vergangenen Sommer ausgesetzt wurde. Im Juli 2024 brachte ein Finder Silver in unser Tierheim. Am Fundort Hamburg-Schnelsen befand sich die Katze in einer Box, in der auch ein Schmerzmittel lag. Eine weitere Box mit Katzenzubehör war ebenfalls dabei. Bei der Eingangsuntersuchung war sofort klar, dass Silver aufgrund ihrer Osteodystrophie an hochgradigen Schmerzen litt. Sie wurde mit einem weiteren hochdosierten Schmerzmittel versorgt und konnte dennoch kaum laufen. Silver war trotz ihrer Einschränkungen und der Schmerzen, an denen sie litt, eine liebenswerte und freundliche Katze. Da die Erkrankung schnell fortschritt und bei jeder Bewegung zunehmend Schmerzen verursachte, die wir trotz der starken Schmerzmittelgabe nicht beheben konnten, mussten wir Silver schweren Herzens erlösen. Silver ist ein Opfer von Menschen, die Qualzuchten züchten und von Menschen, die diese Tiere kaufen und aussetzen, wenn es Probleme gibt. Sie ist kaum ein Jahr alt geworden.



Die Rolle der Züchtenden und des Kaufklientels
Züchtende und auch die Käuferinnen und Käufer von Rassekatzen mit Qualzuchtmerkmalen tragen eine große Verantwortung, wenn es um das Wohl und die Gesundheit der Tiere geht. Züchtende und Zuchtverbände würden sofort etwas ändern, wenn der Absatzmarkt für Katzen mit Qualzuchtmerkmalen nicht vorhanden wäre.
Tierschutz und gesetzliche Regelungen
In vielen Ländern gibt es bereits Bestrebungen, die Qualzucht zu regulieren oder sogar zu verbieten. Tierschutzorganisationen setzen sich dafür ein, dass die Zuchtpraktiken transparenter werden und dass die Gesundheit der Tiere an erster Stelle steht. In Deutschland beispielsweise gibt es bereits gesetzliche Regelungen, die die Zucht bestimmter Rassen einschränken, um das Wohl der Tiere zu schützen. Leider sind wir von der konsequenten Umsetzung des §11b Tierschutzgesetz (der sogenannte Qualzuchtparagraph) noch weit entfernt. Bisher wurden nur in Einzelfällen Verfahren eingeleitet – generelle Zuchtverbote von Qualzuchtrassen gibt es bisher nicht.
Fazit
Qualzucht bei Katzen ist ein sehr ernstes Thema, bei dem es in erster Linie um die Gesundheit und das damit verbundene Wohlbefinden der Tiere geht. Es ist wichtig, sich vor Anschaffung von Rassekatzen der Probleme bewusst zu sein, die mit der Zucht bestimmter Rassen verbunden sind – und die Zucht von Qualzuchttieren durch den Kauf nicht zu unterstützen. Viele Qualzuchten landen bei uns im Tierheim. Wer einem dieser Tiere ein neues Zuhause geben möchte, wird von unserem Fachpersonal ausführlich über die gesundheitlichen Auswirkungen und Problematik der Qualzucht informiert
Dr. Urte Inkmann
Tierheimleitung und tierärztliche Leiterin im HTV