Pressemitteilung vom 18.09.2024

Was wird aus den hilfsbedürftigen Tieren in Hamburg?

Die Freie und Hansestadt Hamburg (FHH), namentlich die Behörde für Justiz und Verbraucherschutz (BJV), hat die Unterbringung von Tieren aus Hamburg europaweit ausgeschrieben. Der Vertrag mit dem Hamburger Tierschutzverein von 1841 e. V. zur Tierunterbringung (HTV) endet am 31.12.2024.

Am 06. August 2024 ging eine harmlos aussehende E-Mail der BJV im Postfach des HTV ein. Darin wurde kurz und bündig mitgeteilt, dass die Tierunterbringung in Hamburg für die Fund-, Verwahr- und Beobachtungstiere im Rahmen eines sogenannten offenen Vergabeverfahrens nunmehr europaweit ausgeschrieben sei. Die Vergabeunterlagen und -bedingungen könne man ab sofort elektronisch im Bieterportal der FHH einsehen. Bewerbungsschluss sei der 18. September 2024. Bis zum 23. August 2024 könne man an die Vergabestelle auf elektronischem Wege Fragen richten.


„Das war ein richtiger Schock für uns“, sagt die 1. Vorsitzende des HTV Janet Bernhardt. „Wir waren von den einen Aktenordner füllenden, circa 200 Seiten Vergabeunterlagen wie vor den Kopf gestoßen. Vieles davon ist für einen Nichtjuristen definitiv unverständlich, ein bürokratisches Monster – und das nach jahrzehntelanger vertrauensvoller Zusammenarbeit mit der Stadt“.


Eine sofort eingesetzte Arbeitsgruppe des HTV konnte den vergaberechtlichen Koloss in eine – auch für den juristischen Laien – verständliche Sprache übersetzen. Es wurde nach und nach deutlicher, was nach der Vorstellung der BJV auf die städtischen Tiere, für jene also, für die die Stadt die gesetzliche Pflicht zur Versorgung hat, zukommen soll. Bisher war der HTV langjähriger Vertragspartner für die Unterbringung von Fundtieren, aber auch von in behördliche Obhut genommenen Verwahrtieren und von unter Quarantäne zu stellenden Beobachtungstieren. „Diese Jahrzehnte währende Partnerschaft aber wird nun in Frage gestellt. In einem offenen Verfahren kann sich jeder bewerben, der meint, die nicht mehr verhandelbaren und fix vorgegebenen neuen Vertragsbedingungen erfüllen zu können. Das sind schlechte Neuigkeiten für den Tierschutz in dieser Stadt,“ so die 2. Vorsitzende des HTV Dr. Gabriele Waniorek-Goerke.


Der HTV nennt hierzu drei Beispiele aus den neuen Vertragsvorgaben, die die Stadt so mit einem oder mehreren Auftragnehmern abschließen will. Sie sind aus über 50 Kritikpunkten seitens des HTV herausgegriffen und keinesfalls abschließend.

  • Bei der tierärztlichen Versorgung bestehen enge Grenzen für einen Auftragnehmer. Er trägt ein weit gehendes Kostenrisiko. Von der FHH werden nur bei Infektionen, Entzündungen, Durchfall und Parasiten die Kosten für eine tierärztliche Behandlung übernommen. Das heißt im Klartext, ob etwa ein Blutbild zur Abklärung eines unspezifischen Krankheitsbildes oder eine Röntgenaufnahme zur Feststellung eines Knochenbruches gemacht werden darf oder nicht, bestimmt nicht der Tierarzt / die Tierärztin, sondern die Behörde. Sagt diese Nein, liegen die Kosten beim Auftragnehmer. Dies gilt auch in Notfällen, in denen weitergehende tierärztliche Leistungen erforderlich werden und es sich also nicht um „Entzündungen oder Parasitenbefall“ handelt. Hier muss der Auftragnehmer eine nachträgliche Genehmigung der BJV einholen. Wird sie verweigert, hat der Auftragnehmer das Nachsehen und trägt die Kosten für die tierärztliche Behandlung. „Wir vermissen bei allen diesen Regelungen das Wohl der Tiere und deren Gesundheit als entscheidenden Maßstab. Demgegenüber muss das fiskalische Interesse der Stadt zurücktreten“, kommentiert die Tierärztliche Leiterin des Tierheim Süderstraße Dr. Urte Inkmann.
  • Die Tiere sollen schnellstmöglich vermittelt werden, sodass dann für die Stadt die Unterbringungskosten entfallen. Dazu sehen die Verträge nicht nur vor, dass Tiere unverzüglich zu vermitteln sind, nach drei Monaten kann die BJV den Nachweis ausreichender Vermittlungsbemühungen verlangen. Gelingt dies nicht, kann die Tagespauschale für die Versorgung um die Hälfte gekürzt werden. Darüber hinaus soll das Risiko einer gescheiterten Vermittlung beim Auftragnehmer liegen. Die Stadt will auch bei kurzfristiger Rückgabe durch den neuen Halter / die neue Halterin nicht mehr für die weitere Unterbringung des Tieres aufkommen. „Einen schwierigen Hund, ein pflegeaufwändiges Reptil oder eine scheue Katze an den richtigen Menschen zu vermitteln, braucht aber Zeit und Sorgfalt“, so Petra Hoop, Geschäftsführerin des HTV. „Es gibt leider immer wieder Fälle, in denen die neuen Haltungspersonen den notwendigen (auch finanziellen) Aufwand stark unterschätzen und es sehr kurzfristig zurückgeben“.
  • Der Auftraggeber kann einseitig den Leistungsumfang verändern. Zwar kann der Auftragnehmer eine Änderung des Leistungsumfangs zurückweisen, muss aber nachweisen, dass die Veränderung unzumutbar ist und alternative Lösungen vorschlagen. Demgegenüber gelten für den Auftragnehmer sehr lange unveränderliche Vertragsbindungen. Er kann frühestens vier Jahre nach Vertragsbeginn (also bei Beginn am 01.01.2025 erstmals zum 31.12.2028) kündigen mit einer Frist von 18 Monaten. Zwar kann er auch eine Entgeltanpassung verlangen, aber nur dann, wenn der vom Statistischen Bundesamt ermittelte Verbraucherpreisindex gegenüber dem Stand bei Vertragsschluss um mehr als 5 % gestiegen ist. Diese Regelung gilt nur ab dem 01.01.2029 und nur dann, wenn das Entgeltanpassungsverlangen 14 Monate zuvor schriftlich angezeigt worden ist. „Diese Regelungen treffen den Auftragnehmer hart. Galoppiert die Inflation davon, so wird er trotzdem noch jahrelang an den für ihn sehr ungünstigen Bedingungen festgehalten. Das kann einen Tierschutzverein in die Insolvenz treiben“, so Andreas Petersen, Schatzmeister des HTV.

Aus diesen und vielen anderen Kritikpunkten heraus hat der Vorstand des HTV entschieden, sich an dieser Ausschreibung nicht zu beteiligen. „Wir würden sehr gerne auch weiterhin für die Tiere in unserer Stadt unser Bestes geben. Aber so sind wir daran gehindert. Wir wollen ein Tierschutzverein und keine nachgeordnete Behörde der BJV sein“, fasst Dr. Gabriele Waniorek-Goerke die Kritik zusammen. Um diesem Anspruch Nachdruck zu verleihen, hat der HTV seinerseits ein Vertragsangebot ausgearbeitet. Der Verein hofft sehr, dass darüber partnerschaftliche Verhandlungen auf Augenhöhe zustande kommen werden. Das Ziel, eine tierschutzgerechte Versorgung zu garantieren, sollte dabei Leitlinie für alle Beteiligten sein.