Viele Menschen wünschten sich während der Corona-Lockdowns jemanden, der ihnen Nähe, Liebe und Unterhaltung spendet. Und wer eignet sich da besser als ein freundlicher, niedlicher Vierbeiner? Leider wurden aus dieser Sehnsucht heraus viele Hunde unüberlegt gekauft, aus Unerfahrenheit nicht erzogen und nach dem Ende von Homeoffice-Pflicht und Reisebeschränkungen wieder ausgesetzt oder im Tierheim abgegeben. Mit der Ausnahmesituation Corona und dem Hunde-Boom traten jedoch auch überwunden geglaubte Trends wieder in Erscheinung: So erreichte der illegale Welpenhandel ein Rekordhoch und sogar gesundheitsschädliche optische Trends, wie kupierte Ohren, tauchten wieder auf.

Nach Angaben des Deutschen Tierschutzbundes wurden im Corona-Jahr 2020 über 600.000 Hunde neu registriert – die Dunkelziffer derer, die nicht gemeldet sind, wird deutlich höher geschätzt. Laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov bereut ein Fünftel der Halterinnen und Halter die Anschaffung ihres Haustieres während dieser Zeit. Während der Großteil der Menschen den Luxus der gewonnenen Zeit sinnvoll nutzte, um sich den Traum vom Hund zu erfüllen, tätigten andere Spontankäufe – nicht selten sind genau diese unüberlegt angeschafften „Corona-Hunde“ die Problemfälle, die die Tierheime deutschlandweit auf Trab halten: Angespült werden hier Hunde, die in einer sehr wichtigen Entwicklungsphase ihres Lebens nicht genügend Umwelteinflüsse und Sozialisierung genossen haben und deshalb große Verhaltensauffälligkeiten vorweisen: „Die Hunde sind unsozialisiert und auf viele Alltagssituationen nicht genügend vorbereitet worden, weil sich ihr Lebensraum auf wenige Quadratmeter Wohnfläche beschränkt hat und Hundeschulen in dieser wichtigen Anfangszeit geschlossen waren. Das kann sich bei jedem Hund anders auswirken – die einen werden aggressiv, die anderen sind extrem ängstlich und empfinden enormen Stress, sobald sie sich außerhalb der Wohnung aufhalten müssen“, erklärt die tierärztliche Leitung und Tierheimleiterin des HTV, Dr. Urte Inkmann.

Auch die Telefonleitungen der Tierschutzberatung laufen heiß, seitdem die meisten Corona-Regeln aufgelöst wurden. Besorgte Menschen melden, dass in der Nachbarswohnung stundenlang ein Hund jault und bellt und sie nicht wissen, wie sie helfen können. Die Lockerungen gingen oftmals einher mit einem Ende der Homeoffice-Pflicht. Diese Nachricht ist bei den meisten Hunden aber nicht angekommen – und insbesondere für die Vierbeiner schwierig, die knapp zwei Jahre lang daran gewöhnt waren, dass Herrchen und Frauchen neben ihnen am Laptop ihre Arbeit erledigten. Tiere, die auf diese Umstellung nicht ausreichend vorbereitet wurden, leiden nun unter extremer Verlustangst und damit einhergehendem enormen Stress.

Der Trend zum „Designer-Hund“ und dessen Folgen

Während uns im Tierheim oft vorgeworfen wird, dass es „unmöglich ist, einen Hund zu bekommen“, wählten viele während der Lockdowns den Weg, einen Hund auf Internet-Plattformen wie eBay Kleinanzeigen zu kaufen. Dort ist es möglich, noch am selben Tag einen (vermeintlichen) Rassewelpen zu erwerben und diesen unabhängig von der eigenen Erfahrung oder Eignung mit nach Hause zu nehmen. Wir hingegen schauen uns die Bewerberinnen und Bewerber genau an, um sicher zu sein, dass wir den Hund in ein gutes Zuhause vermitteln. Und so erlebte der illegale Welpenhandel einen nie dagewesenen Boom – die Welpenmafia nutzte das große Interesse und vor allem auch die Ungeduld der Menschen aus, schnell einen Welpen kaufen zu wollen – und so wurden z. B. Zwergspitze, Yorkshire Terrier und Malteser im Akkord produziert. Immer häufiger wurden Hunde gekauft, die unter tierschutzwidrigen Bedingungen gezüchtet und illegal aus dem Ausland eingeführt wurden. Besonders gut verkauften sich hier Qualzuchten wie Chihuahuas, Französische Bulldoggen oder Möpse, die von Geburt an gesundheitliche Probleme haben – aus dem Grund, dass genau diese optischen Merkmale, die für die Beschwerden verantwortlich sind, so beliebt sind. Finden Vertreter dieser Trend-Rassen den Weg in unser Tierheim, so ist es fast schon sicher, dass sie innerhalb weniger Tage oder Wochen vermittelt werden und wir aus einem großen Pool an Bewerberinnen und Bewerbern auswählen können. Dabei schrecken sie auch nicht vor etwaigen, vorher angekündigten Operation- oder Behandlungskosten zurück - so groß ist der Wunsch nach einem Hund mit einem bestimmten Aussehen. Aus genau diesem Grund konnten wir auch beobachten, dass wieder vermehrt Hunde mit kupierten, also operativ gekürzten Ruten oder Ohren zu uns gelangten. „Die Tiere werden illegalerweise im Ausland mit kupierten Ohren oder Ruten bestellt oder sogar in Deutschland hinter verschlossenen Türen auf diese Art und Weise verstümmelt – alles, um einer gewissen Optik zu entsprechen“, erklärt die Tierärztin Dr. Urte Inkmann bestürzt.

Hündin Erna litt bereits in ihrer Kindheit unter ihrer kurzen Schnauze.

„Corona-Hund“ Rex – Nicht alle Rassehunde finden schnell ein Zuhause

Ebenfalls betroffen von Folgen der Überzüchtung sind Schäferhunde. Aktuell leidet jeder Schäferhund bei uns im Tierheim unter körperlichen Beschwerden. So auch Rex, der ein trauriges Beispiel für einen „Corona-Hund“ ist. Der junge Rüde wurde im Juni dieses Jahres angebunden in Hamburg-Harburg gefunden und von seinem Finder zu uns ins Tierheim gebracht. Den ausgesetzten jungen Hund vermisste mit großer Wahrscheinlichkeit niemand, denn er wurde nie wieder abgeholt. Mit einem Alter von gerade einmal zwei Jahren fällt sein Geburtstag nicht nur passenderweise in den Zeitraum des ersten Lockdowns, in dem sich viele Menschen Welpen anschafften – der Rüde weist auch schon eine lange Liste an Gebrechen auf: Sein Knochengerüst ist nicht das stabilste und er fängt nach Belastung an zu lahmen. Auch mit der Speiseröhre hat Rex Probleme, weshalb er nur mit erhöhtem Kopf fressen darf und dauerhaft Enzyme für die Bauchspeicheldrüse benötigt. Adoptieren wollte den freundlichen Kerl bisher niemand: Schäferhunde sind schon lange keine „Trend-Rasse“ mehr – das bekommt nun leider auch Rex zu spüren. Das Schicksal dieses unbeliebten „Corona-Hundes“ ist in unserem Tierheim und deutschlandweit leider kein Einzelfall. 
*Update (25.10.): Rex hat glücklicherweise in der Zwischenzeit ein neues Zuhause gefunden. Mehrere Monate blieb er ohne jede Adoptionanfrage. 

Schäferhund Rex leidet unter seinen angezüchteten Merkmalen.