Der Tierarzt Danilo Saß hat sich dafür entschieden, die Klinik, in der er seine Karriere begann, zu verlassen und statt den Haltern nur noch den Tieren zu dienen. Jeden Morgen erwarten ihn im Hamburger Tierheim neue Überraschungen, die über die Probleme hinweghelfen.

Der Raum wirkt wie eine aus der Zeit gefallene Amtsstube. Es ist eng, braune Holzschränke stellen die Wände zu, am Boden liegt grüner PVC, angeleuchtet von grellem Licht, das von der niedrigen Decke strahlt. Eine junge Frau telefoniert an ihrem Schreibtisch. Es riecht nach Kaffee - auf einer kleinen Küchenzeile hinter der Tür läuft die Filtermaschine gerade an. Darauf, dass es sich bei dem Raum um die Erstaufnahme einer Tierarztpraxis handelt, lässt erst der silberne Metalltisch in der Mitte schließen. Das durchgängige Bellen der Hunde, das durch das offene Fenster herein schallt, deutet darauf hin, dass sich der Untersuchungsraum in einem Tierheim befindet.

Am Tisch steht Danilo Saß, einer der diensthabenden Tierärzte an diesem Morgen. Dass er vor seinem Studium zunächst eine Ausbildung als Tierarzthelfer absolvierte, merkt man ihm gleich an. Mit seiner pragmatischen Art wendet er den ersten Tagesfund hin und her. Eine Wasserschildkröte, so groß, dass er beide Hände braucht, um sie zu halten, wurde am Vorabend in einer Plastiktüte entsorgt, heißt es im Aufnahmeprotokoll. Passanten haben den Vorfall beobachtet und der Polizei gemeldet. Jetzt steckt das Tier zwischen Danilos Händen. Danilo presst den grauen Panzer zusammen, klopft ihn ab und stellt fest, dass sie um die 30 Jahre alt sein muss und es ihr gut geht.

Danilo Saß ist sechs Jahre älter. 36 Jahre jung, arbeitet er seit zwei Jahren im Tierheim des Hamburger Tierschutzvereins. Der Arzt ist von kompakter, sportlicher Statur und trägt die blonden, lockigen Haare funktional zusammengebunden zum Zopf. Durch das grüne Poloshirt mit der Aufschrift des Vereins ist er nicht von anderen Angestellten auf der Station zu unterscheiden. Die olivgrüne Arbeitshose kombiniert mit den schweren schwarzen Arbeitsstiefeln, deutet darauf hin, dass hier mit vollem Körpereinsatz gearbeitet wird. Aus einer seiner Hosentaschen ragen vier Kugelschreiber heraus. Befunde werden nämlich handschriftlich vermerkt. „Wir haben hier noch Probleme mit der EDV, da sind wir noch nicht so weit“, kommentiert Danilo, als er den Befund ausfüllt und gleichzeitig die Kröte auf dem Tisch fixiert, von dem sie zu fliehen versucht.

Mit Danilo arbeiten im Tierheim des Hamburger Tierschutzvereins rund 100 Angestellte zusammen. Finanziert wird der Betrieb unter anderem von 4.800 Vereinsmitglieder. Als amtliche Annahmestelle für alle möglichen Fundtiere in Hamburg nimmt das Heim circa 10.000 Tiere pro Jahr auf. Bürgerinnen und Bürger geben hier gefundene Tiere in Not ab. Behörden, Polizei oder Feuerwehr liefern zudem sichergestellte oder beschlagnahmte Tiere ein. Jedes Tier, das seinen Weg in die Süderstraße findet, wird zunächst untersucht. Wie viele es jeden Morgen sind, schwankt. Doch gerade in den Sommerferien steigen die Aussetzungen immer rapide an. Bis zu 50 Kisten können derzeit morgens auf Danilo und sein Team warten. Pro Tag.

„Was für ein Klappergestell“. Eine Kollegin setzt Danilo eine abgemagerte Katze auf den Tisch. Er tastet sie ab und stellt etwas Ungewöhnliches in der Magengegend fest. Sie muss geröntgt werden. Mit dem Tier unter dem Arm geht es über den Hof ins Nachbargebäude – in den, wie Danilo ihn nennt, improvisierten OP. „Das ist auch ein Problem hier bei uns. Unsere Gebäude sind super alt“. Die Mauern, so erzählt er, wurden auf Kriegsschutt errichtet und sacken mittlerweile ab. Das Gebäude, in dem der ursprüngliche Operationssaal lag, ist vor zwei Jahren weggebrochen. Der jetzige OP-Trakt war einmal die Wohnung des Hausmeisters. „Das ist halt mega improvisiert alles“, deutet Danilo auf das Röntgengerät in dem Raum, der mal ein Wohnzimmer war und streift sich seine Röntgenschürze über.

Bei allen weiteren Stationen, an denen der Arzt an diesem morgen Halt macht, wirkt er fröhlich und fokussiert – auf das Tier, das gerade vor ihm liegt. Gehen ihm die Schicksale, die er tagtäglich mitbekommt, eigentlich nahe? „Ich versuche das echt auszublenden. Ich habe zu Hause zwei kleine Kinder, möchte mich freuen und meinen Job machen. Da muss man echt auf sich achten, damit man keine Meise kriegt.“ Grundsätzlich ist das Tierheim zu voll, die Gebäude zu alt, es fehlt an Pflegerinnen und Pflegern, erzählt er weiter. Dennoch hat es Danilo hergezogen und es hält ihn hier. Vor seiner Zeit im Tierheim arbeitete er in einer Tierklinik, die er bewusst verließ: „Draußen in einer Praxis bist du Dienstleister für ein Luxus-Hobby. Du musst immer einen Besitzer mit ins Boot holen. Bei Fundtieren kann ich im Prinzip selber entscheiden, welche Behandlung das Tier braucht und was das Beste für es ist.“

Zum Vormittag hin bleiben fünf Minuten, um den morgens aufgebrühten Kaffe zu trinken. Im Wartezimmer der Station ist es ruhig. Das Fenster eröffnet den Blick zum Anmeldebereich des Tierheims. Er ist voll. Eine Polizistin spricht mit einer Dame am Empfang, dahinter stehen weitere Personen mit Transportboxen. Danilo ist hier aus Überzeugung. Daran, jeden Morgen den Raum, in dem er jetzt sitzt, zu betreten, reizt ihn aber auch die Überraschung. „Neulich hat ein Postbote ein Paket mit 50 Weinbergschnecken abgegeben und gesagt, hier helft denen mal. Oder der Großmarkt ruft an und sagt, hier ist eine Spinne unter den Bananen. Einmal kam ich morgens an und dann standen hier Kisten mit 44 Hunden. Ich weiß nie, was mich morgens erwartet und das macht es auch so spannend“.

Von Kilian Recht (Akademie für Publizistik). Kilian Recht besuchte uns im Rahmen seines Volontariats, um eine Reportage über unsere Arbeit im Tierheim zu schreiben. Vielen Dank für den Besuch und den gelungenen Text! 

Danilo Saß bei einer Tierheimführung.