Ein Tierleben ist im Schweine-Hochhaus nichts wert. Foto: Deutsches Tierschutzbüro

18. Juni 2018

82,2 Prozent der Bevölkerung finden es gerechtfertigt, dass Tierschützer durch heimliche Filmaufnahmen in landwirtschaftlichen Betrieben Missstände und Tierquälerei aufdecken. Das ist das Ergebnis einer aktuellen repräsentativen Umfrage. Und eine schallende Ohrfeige für Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU): Denn Union und SPD haben im Koalitionsvertrag vereinbart, das illegale Filmen schärfer zu bestrafen. Der HTV bezieht Stellung:

„Einbruch ist Einbruch“, hatte Klöckner Mitte Mai in der „Osnabrücker Zeitung“ als Legitimation behauptet, um gegen Tierschutzorganisationen vorgehen zu können. Man brauche keine „selbsternannte  Stallpolizei“. Beide Aussagen der Ministerin sind falsch. Denn Tierschützer, die heimlich in Tierställen filmen, begehen bestenfalls einen Hausfriedensbruch – aber keinen Einbruch. Denn für ein Einbruchsdelikt muss das Eigentum des Landwirts beschädigt und ihm etwas gestohlen werden. Dies passiert bei den Tierschutzaktionen aber nicht. Es wird lediglich ohne Zustimmung des Tierproduzenten in seinem Stall gefilmt.

Und die „Stallpolizei“, um bei dem Begriff der Ministerin zu bleiben, ist alleine deswegen nötig, weil bundesweit immer wieder Amtsveterinäre schwer versagen, wenn es um die Kontrolle besonders von Massentierhaltungsbetrieben und den Schutz von Schweinen, Hühnern und Milchkühen geht. Die von Tierschützern gefilmten Missstände belegen dies auf bedrückende und empörende Weise. „Ministerin Klöckner soll sich nicht für das Verbot der Bilder und Filme stark machen, sondern dafür sorgen, dass solche tierquälerischen Zustände in der Tierproduktion endlich ein Ende haben. Das ist ihre Aufgabe!“, so Sandra Gulla, 1. Vorsitzende des HTV. Anfangen könnte die Ministerin zum Beispiel beim Schweinehochhaus in Maasdorf (Sachsen-Anhalt). Hier werden in einem Gebäude auf sechs Stockwerken Schweine gezüchtet. Und auf den Filmaufnahmen sind Mitarbeiter zu sehen, die vermeintlich todgeweihte Ferkel packen und auf den Boden oder gegen Wände schmettern, um sie zu töten. Ein eindeutiger Verstoß gegen das Tierschutzgesetz.

Oder die jüngsten Filmaufnahmen aus einem Betrieb mit rund 700 Milchkühen, ebenfalls in Sachsen-Anhalt. Über Tage liegt eine tote Kuh zwischen ihren Artgenossen, während der ausbeuterische Melkbetrieb durch die Arbeiter weitergeht. Das von den Tierschützern informierte Veterinäramt schreitet tagelang nicht ein, so der Vorwurf, will dann nichts Rechtswidriges gesehen haben. Der Skandal sorgt seit Wochen für Schlagzeilen, besonders auch das Behördenversagen.

Deswegen ist ein Urteil des Oberlandesgerichts Naumburg vom Februar 2018, das bei Tierproduzenten und Agrarlobbyisten für große Empörung sorgt, besonders zu begrüßen. Es hatte den Freispruch gegen drei Tierschützer bestätigt, die in einem Schweinezucht-Betrieb Verstöße gefilmt hatten. Zwar hätten sich die Angeklagten eines Hausfriedensbruchs schuldig gemacht. Doch es habe ein „rechtfertigender Notstand“ vorgelegen, als die Tierschützer das Hausrecht des Schweinezüchters ignoriert hatten: „Das von den Angeklagten geschützte Tierwohl sei im vorliegenden Fall deutlich höher zu bewerten als das verletzte Hausrecht“, heißt es zur Begründung der Richter. Dieses Urteil zeigt, dass Einbruch eben nicht Einbruch ist. Und selbst ein Hausfriedensbruch straffrei bleiben kann. Trotzdem heißt es auf Seite 87 des Koalitionsvertrages auf Wunsch von CDU/CSU und von der SPD nicht verhindert: „Wir wollen Einbrüche in Tierställe als Straftatbestand effektiv ahnden.“

Es ist skandalös, dass sich die Union vor den Karren der Agrarlobby spannen lässt und Front gegen Tierschützer macht, anstatt konsequent die gravierenden Missstände und Tierschutzverstöße in der Landwirtschaft zu benennen und zu bekämpfen. Auch die Bürgerinnen und Bürger haben für diese Haltung offensichtlich keinerlei Verständnis. 82,2 Prozent der zwischen dem 29. Mai und dem 6. Juni 2018 Befragten halten das heimliche Filmen in landwirtschaftlichen Betrieben für gerechtfertigt, um dadurch Tierleid aufzudecken. Nur 15,7 Prozent lehnen das ab. 2,1 Prozent der Befragten hatte keine Meinung, so die Ergebnisse der repräsentativen Emnid-Umfrage, die von den Tierrechtsorganisationen Deutsches Tierschutzbüro, PETA, Animal Equality, Tierretter.de, Soko Tierschutz und ARIWA in Auftrag gegeben wurde. Besonders hoch ist die Unterstützung für die Tierschützer in der Gruppe der 30- bis 39-Jährigen. Hier unterstützen 93,8 Prozent der Befragten das heimliche Filmen in Tierställen.

Darüber hinaus fordern 85,3 Prozent der Befragten „stärkere Tierschutzkontrollen“ in landwirtschaftlichen Betrieben. Nur 12,5 Prozent der Bürger halten die Kontrollen für ausreichend, 2,2 Prozent hat keine Meinung.

Ministerin Klöckner hat also einen klaren Bürgerauftrag. Und der heißt: Gegen die Agrar-Rechtsbrecher in den Tierställen vorzugehen, aber nicht gegen Tierschützer, die unerträgliches Leid und Quälerei aufdecken wollen. „Wir jedenfalls sind den investigativ arbeitenden Tierrechtskollegen von Herzen dankbar, dass sie verhindern, dass diese unermessliche Tierqual auch noch unentdeckt bleibt,“ so Sandra Gulla abschließend.

Die heimlich gemachte Filmaufnahme zeigt eine Mitarbeiterin, die versucht ein Ferkel zu töten, indem sie das Tier auf den Boden schlägt. Das Fotomaterial wurde dem Deutschen Tierschutzbüro zugespielt.
Mit einem spachtelähnlichen Gegenstand wurde dieses Tier misshandelt – die Verletzungen sind deutlich zu sehen. Foto: Deutsches Tierschutzbüro
Alltag im Schweinehochhaus: eine Sau im engen Kastenstand mit ihren Ferkeln. Foto: Deutsches Tierschutzbüro
Die Tierhöllle auf sechs Etagen: das Schweinehochhaus in Sachsen-Anhalt. Foto: Deutsches Tierschutzbüro